Picknick auf dem Friedhof

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TRIER. Die Trauer von Eltern, die ihr Kind während der Schwangerschaft oder bei der Geburt verloren haben, wird oft nicht ernst genommen. Seit einiger Zeit unterstützt die Selbsthilfegruppe „Gute Hoffnung, jähes Ende“ die Betroffenen.

 

„Wir haben Picknick am Grab unseres Jungen gemacht“, erzählt eine Frau. Woanders hätte sie ungläubige, strafende Blicke geerntet. Pietätlosigkeit wäre ihr vorgeworfen worden. Hier, im Raum der evangelischen Studentengemeinde in Trier, nicken alle nur verständnisvoll, freuen sich, dass die Frau so mit der Trauer um ihr Kind umgehen kann.
Bei den 20 Männern und Frauen, die sich an diesem Abend getroffen haben, handelt es sich nicht um religiöse Spinner, eine verschworene Clique oder eine Sekte. Es sind Menschen, die Eltern helfen wollen, die ihr Kind verloren haben: Krankenschwestern, Hebammen, Bestatter und betroffene Mütter, die sich zusammengeschlossen haben. „Gute Hoffnung, jähes Ende“ heißt die Selbsthilfegruppe. Gegründet wurde sie vor sechs Jahren von Eltern, deren Kinder während der Schwangerschaft oder bei der Geburt gestorben sind. „Wenn ich zur Krokuswiese auf dem Friedhof gehe, weiß ich, dass ich nicht allein bin. Man kommt ins Gespräch, man tröstet sich. Das gibt einem wieder Zuversicht“, erzählt die Mutter weiter, deren Sohn im August in der 32. Schwangerschaftswoche tot zur Welt kam. Den Schmerz über den Verlust hat sie nicht überwunden. Wenn Ulrike Grandjean, eine der Initiatorinnen der Krokuswiese, von Telefonaten mit betroffenen Eltern erzählt, von der Sprachlosigkeit der Mütter, hält sie sich die Hände vors Gesicht. Die Erinnerung an den Tod ihres Kindes ist noch frisch.

Doch seit vier Jahren haben die Eltern auf dem Trierer Hauptfriedhof einen Ort, an dem sie trauern können. Wurden bis dahin „Frühchen“ unter 500 Gramm einfach „entsorgt“, können sie seitdem auf dem Kindergrabfeld, der Krokuswiese, beigesetzt werden. „Eltern brauchen einen Ort, an dem sie trauern können“, sagt Trauerbegleiterin Clarissa Metzdorf-Schmitthüsen. Einmal im Jahr, im Advent, gibt es außerdem eine Sammelbestattung von tot geborenen Kindern auf dem Friedhof in St. Matthias in Trier.
Die Trauer und der Schmerz über den Tod müssten enttabuisiert werden, sagt die Trauerbegleiterin. Daher sei das Kindergrabfeld ein Segen. „Da kommen Menschen zusammen, die sich helfen und stützen.“ Oder eben Picknick machen. 35 Kinder wurden auf der Wiese beerdigt, in deren Mitte ein großer Sandstein-Stern an die „Sternenkinder“ erinnert. Selbst aus der Eifel riefen Eltern an, die ihr Kind in Trier bestatten lassen wollten, berichtet Heinz Tholl vom Grünflächenamt Trier.
Auch wenn die Beerdigung kostenlos ist, können nur Kinder aus Trier und Trier-Saarburg beigesetzt werden. Daher drängen Betroffene, Bestatter und Hebammen darauf, dass auch in anderen Städten ein solches Kindergrabfeld angelegt wird. In Hermeskeil soll es noch in diesem Jahr soweit sein. In Wittlich tue man sich noch sehr schwer damit, berichtet ein Bestatter. Daher soll der Stadtbürgermeister nun eingeladen werden, sich die Krokuswiese in Trier anzuschauen und mit betroffenen Eltern zu reden.

 

„Es wird immer drum herum geredet“

Der Tod von Ungeborenen, von Kindern, die keiner außer den Eltern je gesehen hat, ist auch in vielen Krankenhäusern ein Tabu-Thema. Viele Ärzte täten sich damit schwer, einer Frau, die eine Fehlgeburt hatte, zu sagen, sie habe ihr Kind verloren, berichtet eine Krankenschwester. „Es wird immer drum herum geredet. Oft sind sich die Frauen selbst gar nicht bewusst, dass sie auch in einer frühen Schwangerschaftswoche bereits ein Kind im Bauch hatten.“
Doch das Bewusstsein wächst. Im Ehranger Marienkrankenhaus werde das Personal auf der gynäkologischen Station regelmäßig geschult und auf die Situation von Früh- und Totgeburten vorbereitet, sagt eine Krankenschwester. Die Eltern hätten jederzeit die Gelegenheit, ihr totes Kind zu sehen, um Abschied zu nehmen. Früher wurden die Totgeburten direkt nach der Entbindung zur Pathologie gebracht. Den Eltern blieb keine Erinnerung an ihre Kind, nichts. „Es ist ganz wichtig, dass man Abschied nehmen kann“, sagt Ulrike Grandjean. „Außer einem Foto, das ich selbst machen musste, habe ich gar nichts von meinem Sohn“, erzählt die Mutter. Sie hat nichts, womit sie ihre Trauer überwinden kann – nur das Bild und das Grab auf der Krokuswiese.
Im Wittlicher Krankenhaus bekommen die Mütter Fotos, Fußabdrücke, eine Locke und das Namensbändchen von ihrem toten Kind mit nach Hause. Auch hier haben die Eltern Zeit, sich zu verabschieden. In einer Mappe ist aufgelistet, wie sich Schwestern, Hebammen und Ärzten in solchen Fällen verhalten sollen. Oft sei das Personal überfordert. Daher gehen Mitglieder der Selbsthilfegruppe in die Krankenhäuser, reden mit Ärzten, Schwestern, Hebammen. Die Eltern wollen, dass ihre Trauer ernst genommen wird. „Solange wir leben, werden auch sie leben“, liest Ulrike Grandjean aus einem Gedicht vor. Und wieder hält sie sich die Hände vors Gesicht.

Informationen zur Selbsthilfegruppe „Gute Hoffnung, jähes Ende“ gibt es unter Telefon 06502/936824 oder 0651/18743. Am 17. April findet bei der Evangelischen Studentengemeinde in Trier ein Gedenkgottesdienst für die gestorbenen Kinder statt.

März 2005
Erschienen im Volksfreund